Ortsgeschichte
Die Gemeinde Grafrath entstand 1972 durch den Zusammenschluss der ehemals selbständigen Gemeinden Unteralting mit den Weilern Mauern und Grafrath und der Gemeinde Wildenroth mit dem Ortsteil Höfen. Davor hatten die einzelnen Ortsteile Jahrhunderte lang eine eigene Geschichte, es zeigten sich jedoch auch schon früh Gemeinsamkeiten, so dass der Zusammenschluss keinen völligen Bruch in der Geschichte darstellte.
Vor- und Frühgeschichte
Das Gebiet, auf dem sich die heutige Gemeinde erstreckt, erhielt seine besondere Form in der letzten Eiszeit (Würmeiszeit ca. 130 000 - 35 000 v. Chr.). In dieser Epoche bedeckten Gletscher große Teile des Voralpenlandes. Sie schoben Steine und Geröll (Moräne) vor sich her und häuften es am Ende zu Wällen auf. Ein solcher vom Ammerseegletscher aufgehäufter Wall ist der Höhenzug, der sich von Kottgeisering nach Grafrath und von dort weiter nach Süden erstreckt. Als sich das Klima erwärmte, fand das Schmelzwasser des Ammerseegletschers in Grafrath unterhalb von Höfen eine Abflussmöglichkeit, schnitt sich als „Amper" im Lauf der Zeit tief in den Wall ein und schuf so das heutige enge Ampertal und die Amperschlucht.
Ehe der Gletscher ganz geschmolzen war, zerfiel er in mehrere Teile. Kurz vor Grafrath entstanden so zwei Flussarme, die sich an der Durchbruchstelle wieder vereinigten. Dadurch schufen sie eine Insel, der die germanischen Einwanderer den Namen Wörth gaben und die später nach dem dort begrabenen Grafen Rath St. Grafrath genannt wurde. Andere Gletscherteile verloren den Anschluss an den schmelzenden Hauptgletscher und wurden von weiterem Geröll überdeckt, so dass das Eis erst nach langer Zeit schmolz und dann eine kesselförmige Vertiefung in der Landschaft übrig blieb, ein sogenanntes Toteisloch. Zwei besonders eindruckvolle Toteislöcher, die zu den schönsten Geotopen Bayerns gerechnet werden, befinden sich im Gemeindegebiet von Grafrath, eines südlich der Amper zwischen Unteralting und Mauern, genannt „Tiefes Tal", das andere nördlich der Amper an der Bundesstraße 471, genannt „Wolfsgrube" (Infos unter www.geotope.bayern.de).
Auf den Uferhöhen nahe der Amper siedelten schon in prähistorischer Zeit Menschen. Dass es hier über Jahrhunderte hin ausgedehnte Siedlungen gab, bezeugen die zwei Hügelgräberfelder südlich der Amper, die zu den größten in Südbayern gehören, das eine zum Teil in der Gemarkung Wildenroth (Haberlaich, Mühlhart), ein anderes in der Gemarkung Unteralting (Krugholz). Sie werden von den Archäologen in die Bronze-, Hallstatt- und Latènezeit (2000 bis 600 v. Chr.) datiert. Aus der Römerzeit gibt es im Gemeindegebiet - im Gegensatz zum benachbarten Schöngeising - keine Funde. So ist auch nicht mit Sicherheit zu sagen, ob der Name des Ortsteils Mauern vom lateinischen muri (= Mauern) abgeleitet ist, denn im Gegensatz zu Schöngeising, Unteralting und Etterschlag kommt Mauern in frühmittelalterlichen Quellen nicht vor. Interessant für Grafrath ist jedoch die in jüngster Zeit mit guten Argumenten vorgetragene These, dass die Querverbindung zwischen der Römerstraße von Füssen nach Augsburg (via Claudia) und der von Salzburg nach Augsburg (via Julia) von Epfach über Eresing und dann der Amper entlang nach Dachau führte. Trifft dies zu, verlief diese Römerstraße durch Kottgeisering und durch das heutige Wildenroth in etwa auf der Hauptstraße und Brucker Straße weiter nach Schöngeising.
Frühes Mittelalter
Genauer werden unsere Kenntnisse über die Ortsgeschichte im frühen Mittelalter. Nach der Landnahme durch die Bajuwaren wurden die Siedlungen gegründet, die bis heute nach dem Sippenältesten benannt und mit der Endsilbe -ing versehen sind. Zwischen der Siedlung des Giso (Gisinga, heute Schöngeising) und der Siedlung des Kysalheri (Kysalheringa, heute Kottgeisering) entstand die Siedlung des Alamund (Alamuntinga, heute Unteralting). Vermutlich lag sie wie die beiden anderen Orte zunächst auf der nördlichen Seite der Amper, denn dort steht in Höfen bis heute die Pfarrkirche von Unteralting. Da sich unterhalb der Kirche zwischen dem unwegsamen Ampermoos und dem engen Ampertal die Möglichkeit bot, die Amper zu überqueren, könnte sich die Siedlung Alamuntinga von Anfang an schon auf beide Seiten der Amper erstreckt haben und erst später durch die Gründung des Klosters in Wörth ganz auf die Südseite verlagert worden sein. Zum ersten Mal urkundlich erwähnt ist Alting in der Karolingerzeit zusammen mit der Marienkirche - eine solche ist die Pfarrkirche in Höfen bis heute - in einer Freisinger Urkunde von 804. In dieser Urkunde übergeben zwei Brüder aus Kottgeisering (einer trägt den Sippennamen Kysalheri) dem Priester Erchanheri und der ihm gehörenden Marienkirche in Alting umfangreichen Besitz im Ort selber und im benachbarten Etterschlag. Für die heutige Gemeinde Grafrath ist diese Urkunde das älteste Dokument.
Nachdem Karl der Große 788 den Bayernherzog Tassilo III. entmachtet hatte, teilte er das Land in Verwaltungsbezirke (Komitate/ Grafschaften) ein und übertrug deren Verwaltung fränkischen Adeligen, die „Grafen (comites)" genannt wurden. Neben der Einteilung in staatliche Verwaltungsbezirke wurden in dieser Zeit auch die Bistumsgrenzen festgelegt. Bei der Grenzziehung spielten Flüsse als sogenannte „nasse Grenzen" eine wichtige Rolle. Eine solche Grenze bildete im Bereich des heutigen Grafrath die Amper, so dass in der Folgezeit die Orteile südlich der Amper und die nördlich der Amper eine völlig unterschiedliche Geschichte aufweisen. So gehörte bis zur Eingliederung in das Bezirksamt Bruck im Jahre 1862 Unteralting mit den Weilern Mauern und Grafrath zur Grafschaft Andechs, später zur Herrschaft Seefeld, zum Landgericht Weilheim und ab 1803 zum Landgericht Starnberg, Wildenroth mit Höfen hingegen lag im Herrschaftsbereich der Wittelsbacher, gehörte zunächst zum Landgericht Landsberg, ab dem 17. Jahrhundert zum Landgericht Dachau und kam schon vierzig Jahre vor Unteralting 1823 zum Landgericht Bruck. Kirchlich gehörte Unteralting bis ins 15. Jahrhundert (der Bereich Wörth/Grafrath bis heute) zum Bistum Augsburg, danach, wie Höfen und Wildenroth von Anfang an, zum Bistum Freising.
Die für die weitere Ortsentwicklung und für die Namensgebung des Ortes folgenreichste Entscheidung der Karolingerzeit war die Gründung eines Benediktinerklosters auf der Insel Wörth durch den Grafen Rath(o) oder Rasso. Dieser war nach der Andechser Überlieferung ein aus Frankreich stammender Adeliger, der von Karl dem Großen oder einem seiner Nachfolger im Ammersee-Amper-Gebiet, dem Kernland der späteren Grafschaft Andechs, als Stellvertreter des Königs eingesetzt worden war. (Die im Spätmittelalter von dem Chorherrn Albert von Dießen vorgenommene Datierung der Klostergründung auf 954 wurde von neueren Historikern als nicht haltbar zurückgewiesen. Die dafür versuchte Identifizierung mit einem urkundlich bezeugten Grafen Razo von Dießen des 11. Jahrhunderts ist aber ebenfalls nicht zu belegen. Dagegen sprechen für eine Klostergründung in der Karolingerzeit (854) neben den passenden Zeitumständen der Grabtyp, die morphologische Struktur der Schädelreliquie und die alten Andechser Überlieferungen.)
Hochmittelalter
Anfang des 12. Jahrhunderts schien für die Gründung des Grafen Rath das Ende gekommen, denn das Kloster in Wörth wurde nach Dießen verlegt und die Verlegung 1132 von Papst Innozenz II. bestätigt. Schon vorher waren die vom Kirchenstifter in Grafrath gesammelten Heiligenreliquien nach Andechs gebracht worden. Die Grafen von Andechs sorgten jedoch dafür, dass die Grabkirche in Grafrath weiter betreut wurde, da sie den dort bestatteten Grafen als ihren Ahnherrn ansahen. Hinzu kam, dass zu dem Grab, obwohl es jetzt einsam gelegen war, eine Wallfahrtsbewegung einsetzte und der Ort in den Ruf einer Wunderstätte kam. Dies führte dazu, dass die Menschen dem Ort schon im Mittelalter neben der ursprünglichen Ortsbezeichnung Wörth den Namen des dort bestatteten Mannes gaben und ihn sand grafrath (St. Grafrath) nannten.
Nachdem die Wittelsbacher Mitte des 12. Jahrhunderts Herzöge von Bayern geworden waren, versuchten sie in der Auseinandersetzung mit den damals noch mächtigen Andechsern die Machtverhältnisse und die Grenzziehung an der Amper in ihrem Sinn zu verändern. Sie erbauten deshalb nicht unweit des von den Andechsern kontrollierten Amperübergangs bei Höfen etwa einen Kilometer flussabwärts eine eigene Brücke, siedelten dort Menschen an und ließen zum Schutz der Brücke oberhalb des Flussübergangs eine Burg errichten. Als erster bezeichnet sich ein Konrad aus dem Geschlecht der Hegnenberger in einer Benediktbeuerner Urkunde von 1260 als Konrad von Wildenroth. Diese Urkunde gilt heute als eine Art Gründungsurkunde für das Dorf Wildenroth. Nach dem Untergang der Andechser verlor der Übergang in Wildenroth seine strategische Bedeutung. So konnte Herzog Ludwig IV., der spätere Kaiser Ludwig der Bayer, den Ort 1322 dem von seinem Vater gegründeten Kloster Fürstenfeld schenken, zu dem Wildenroth dann bis zur Säkularisation gehörte. Die Burg wurde geschleift, nur die dem hl. Nikolaus geweihte Burgkapelle blieb erhalten. Sie gehörte als Filialkirche zur Pfarrei Emmering. Im Jahr 1778 wurde sie abgetragen und auf der Amperinsel in der Dorfmitte neu aufgebaut.
Spätmittelalter
Als sich die Siedlung Wildenroth zu einem größeren Dorf entwickelt hatte, war der Bischof von Freising in der Mitte des 15. Jahrhunderts bereit, für Wildenroth eine eigene Pfarrei zu errichten. Da für ihn Wildenroth nichts anderes war als die um einige hundert Meter flussabwärts errichtete Ersatzsiedlung für jenes frühere Alting mit der Marienkirche, die der Priester Erchanheri 804 dem Bischof von Freising vermacht hatte, bestimmte er diese Kirche als Pfarrkirche. Bis heute ungeklärt ist, wie es ihm gelang, diese Marienkirche in Höfen auch wieder zur Pfarrkirche von Unteralting zu machen, obwohl das Dorf inzwischen auf der anderen Seite der Amper lag, gebietsmäßig zum Bistum Augsburg gehörte und eine eigene Kirche besaß. Da Höfen damals noch unbewohnt war, erhielt der neue Pfarrer sogar als Wohnung den Pfarrhof in Unteralting zugewiesen, seine Pfarrkirche blieb aber - und ist es formal bis heute - die Kirche in Höfen, während die St. Mauritiuskirche zur Filialkirche herabgestuft wurde. Die Installation des ersten gemeinsamen Pfarrers fand am 2. Juli 1477 statt. Damit war einerseits die vor gut fünfhundert Jahren vollzogene Trennung von Unteralting und der Marienkirche rückgängig gemacht, andererseits fast genau fünfhundert Jahr vor der politischen Fusion der Gemeinden Unteralting und Wildenroth bereits die kirchliche Fusion vollzogen. Ohne sie wäre vielleicht der politische Zusammenschluss 1972 nicht gekommen. Ausgenommen von der Fusion war damals noch Wörth/Grafrath, das bis zur Säkularisation zum Chorherrenstift Dießen gehörte, seit der Bildung des Pfarrverbandes 1979 zwar seelsorgerlich mit den übrigen Ortsteilen dem Erzbistum München und Freising zugeordnet ist, formal aber weiter zum Bistum Augsburg gehört.
Neuzeit
Neu geordnet wurden die Verhältnisse im Bereich des heutigen Grafrath durch die „Gemeindebildung" in den Jahrzehnten nach der Säkularisation 1803. Die vorher zum Kloster Fürstenfeld gehörende Hofmark Wildenroth wurde nach Aufhebung des Klosters selbständige Gemeinde, zunächst innerhalb des Landgerichts Dachau, dann ab 1823 im neu errichteten Landgericht Bruck. Unteralting wurde selbständige Gemeinde 1849 nach der Mediatisierung, d. h., nach der Auflösung der Adelsherrschaft Seefeld, zusammen mit dem schon 1818 eingemeindeten Dorf Mauern und dem Weiler Wörth/Grafrath. Unteralting war bereits 1803 zusammen mit anderen Gemeinden der Herrschaft Seefeld aus dem Landgericht Weilheim in das Landgericht Starnberg eingegliedert worden, im Jahr 1862 wurde die Gemeinde nochmals verschoben und jetzt dem Landgericht Bruck (ab 1862 Bezirksamt Bruck, ab 1938 Landkreis Fürstenfeldbruck) zugewiesen. Damit war eine wichtige Voraussetzung für die spätere Fusion der beiden Gemeinden geschaffen.
Von großer Bedeutung für die Ortsentwicklung war die Eröffnung der Bahnlinie München - Buchloe am 01. Mai 1873. Für die damals noch zahlreichen Wallfahrer wurde an der Stelle, die der Wallfahrtskirche am nächsten lag, die Haltestelle „Grafrath" eingerichtet. Die schnelle Verbindung nach München machte jetzt auch das kleine Dorf Wildenroth als Wohnort interessant. Zunächst waren es hauptsächlich begüterte Münchner Bürger, die hier zur Sommerfrische oder als Altersruhesitz Villen errichteten, bald aber nahmen auch „Pendler" auf dem Gemeindegebiet von Wildenroth ihren Wohnsitz, vor allem im Bereich zwischen dem Dorf im Ampertal und dem Bahnhof Grafrath. Die Auswirkungen werden beim Vergleich der Einwohnerzahlen mit dem jenseits der Amper gelegenen Unteralting deutlich. Im Jahr 1875 war die Einwohnerzahl von Wildenroth und Unteralting (einschließlich Mauern und Grafrath) in etwa noch gleich (256 zu 242 Einwohner). Im Jahre 1933 zählte Wildenroth mit 505 Einwohnern bereits 217 Einwohner mehr als Unteralting. Ein nochmaliger starker Zuwachs erfolgte in den Jahrzehnten nach dem 2. Weltkrieg, so dass Wildenroth im Jahr des Zusammenschlusses 1972 mit 1720 Einwohnern fast viermal so groß war wie Unteralting mit 466 Einwohnern.
Neueste Zeit
Eine letzte Veränderung der Verwaltungsstruktur der Gemeinde brachten die Jahre 1970 bis 1980. Um die Kommunalverwaltung den veränderten Verhältnissen anzupassen, beschloss die bayerische Staatsregierung, kleinere Gemeinden zu größeren Verwaltungsgemeinschaften von 5000 bis 10 000 Einwohnern zusammen zu fassen. Ehe sie durchgeführt wurde, erging an kleinere und nahe beieinander liegende Gemeinden die Empfehlung, sich nicht nur zu einer Verwaltungsgemeinschaft, sondern zu einer einzigen Gemeinde zusammenzuschließen. Bei Unteralting, Wildenroth und Kottgeisering war dies wegen der vielfachen geschichtlichen Verbindung schon früher diskutiert, im Jahr 1939 sogar bereits von oben herab beschlossen, wegen Kriegsausbruch aber nicht durchgeführt worden. Bei der neuerlichen Diskussion zeigte es sich, dass in Kottgeisering eine Mehrheit der Gemeinderäte dazu nicht bereit war. In Unteralting und Wildenroth jedoch sprachen sich in getrennten Sitzungen am 17. Februar 1972 die Gemeinderäte beider Orte einhellig für den Zusammenschluss unter dem Namen „Grafrath" aus. Am 1. Juli 1972 konstituierte sich die neue Gemeinde Grafrath.
Nicht ganz konfliktfrei vollzog sich die noch ausstehende Bildung einer Verwaltungsgemeinschaft (VG) mit den Nachbargemeinden Kottgeisering, Schöngeising und Türkenfeld. Nachdem zunächst Türkenfeld als Zentrum vorgesehen war, erreichte die neue Gemeinde Grafrath, dass sie als Verwaltungssitz bestimmt wurde, worauf die Gemeinde Türkenfeld einen Beitritt zur geplanten Verwaltungsgemeinschaft ablehnte. So umfasste die Verwaltungsgemeinschaft Grafrath, die am 1. Januar 1980 ihre Arbeit aufnahm, neben Grafrath nur die Gemeinden Kottgeisering und Schöngeising. Die notwendigen Räumlichkeiten wurden im früheren Schulhaus von Wildenroth bereit gestellt. Wegen der beengten Verhältnisse in und um das Gebäude begannen bald Planungen für ein neues Rathaus für Grafrath und ein modernes, bürgerfreundliches Verwaltungsgebäude. Als Standort entschied man sich für das freie Gelände an der B 471 nahe der Amperbrücke. Am 27. Oktober 2001 wurde das neue Verwaltungsgebäude seiner Bestimmung übergeben. Im Lauf der Zeit könnte sich beim Verwaltungsgebäude in Sichtweite zur Grabkirche des Grafen, der dem Ort den Namen gegeben hat, ein Ortszentrum von Grafrath entwickeln, das manche bis jetzt vermissen.
(Ernst Meßmer)